Die historischen Beginen - Analyse und Zusammenfassung
Von Uta-Maria Freckmann 2025 ©
Abschließend zu der Beginen-Galerie, in der wir drei Beginen aus der Zeit des 13. bis 14. Jahrhunderts und ihre schwierigen Lebensumstände vorgestellt haben, möchte ich hier einen Überblick verschaffen, um die Vielfalt des Wirkens der Beginen aufzuzeigen.
Auch etwas Verständnis für das Brauchtum, die strengen Sitten und Regeln ihrer Zeit, sollte diesen Frauen entgegengebracht werden, denn wir wissen nicht, was sie alles tun mussten, um sich in diesen herausfordernden Zeiten zu behaupten. Bemerkenswert bleibt, unabhängig von heutzutage teilweise fremd wirkenden Handlungsweisen und Riten, dass es eine weibliche Bewegung war, die für sich und ihre Lebensweise einen neuen Rahmen schuf, was schwierig genug gewesen sein mag. Das Leben und Wirken der Beginen aus dem Mittelalter (ca. 1000 bis 1600) setzte sich aus vielfältigen Tätigkeiten und zahlreichen Lebensentwürfen zusammen. Einzelne Lebensweisen der historischen Beginen werden nachfolgend aufgezeigt; diese sind nicht strikt voneinander zu trennen, sondern können sich überschneiden.
Spirituelle Beginen
Es gab unter den Beginen sicher viele, uns unbekannte Frauen, die ihren spirituellen Weg gingen, während ihre Verbundenheit zu Gott stetig wuchs. (Siehe weiterführende Links unten am Ende des Textes zu den herausragendsten gottnahen Beginen.)
Manche hielten ihre Erfahrungen in Texten und Biografien fest, einige wurden jedoch geschrieben von ihren Beichtvätern, da es sich für Frauen nicht schickte zu schreiben. Die Form und Darstellung von Texten wurden meistens in einer, für den heutigen Geschmack, etwas süßlichen Verherrlichung der Spiritualität durch die Literaturform der Minne, angefertigt. Diese Schriftform wird begleitet von der Vorstellung von Gott oder Christus als Bräutigam, was heute sehr befremdlich wirkt. Zudem wurden sogenannte Heiligenviten (Hagiografien) angefertigt, um jemanden heiligsprechen zu lassen (oft direkt nach ihrem Tod), worauf von vielen adligen Verwandten, Beichtvätern und (kirchlichen) Herrschern großer Wert gelegt wurde. Diese oftmals geschönten Biografien folgten einer ganz bestimmten Struktur, um die Vollkommenheit der zukünftigen Heiligen auszudrücken. Dazu wurde dann zu den entsprechenden (seinerzeit anerkannten) Mitteln gegriffen, um das Ziel der Heiligsprechung zu erreichen.
Aus Wikipedia: Eine Hagiografie oder Heiligenvita, die den Beschriebenen als „Heiligen“ im Sinne eines vorbildhaften Menschen ohne Makel darstellt und ihn dem Leser einerseits als sittliches Vorbild, andererseits als der kultischen Verehrung würdigen Erwählten Gottes präsentiert. Da eine solche Darstellung oft einseitig verzerrende Züge aufweist, eine unkritische und beschönigende Tendenz zeigt, die historische Quellenkritik vernachlässigt und keinem streng rationalistischen Wahrheitsbegriff verpflichtet ist, kann der Ausdruck auch in pejorativer (geringschätzender) Bedeutung verwendet werden. Seit der Reformation und verstärkt seit dem 19. Jahrhundert, das mit dem Einsetzen der historischen Quellenkritik und der Durchsetzung eines von den Naturwissenschaften geprägten rationalistischen Wahrheitsbegriffs der Vorstellung vom Übernatürlichen zunehmend fremd gegenüberstand, stieß die Hagiografie immer mehr auf Fundamentalkritik. [Zitatende]
Die Texte der damaligen Zeit, wenn sie sich sehr an der Minne anlehnten, wollen mit dem entsprechenden Hintergrundwissen verstanden werden. Vielleicht wurde diese Schriftform gewählt, um etwas auszudrücken, ohne den Argwohn der Inquisition oder neidvoller Mitmenschen herauszufordern. Das heißt, man umschrieb etwas oder stellte etwas als heilig dar, damit man nicht an den Pranger gestellt werden konnte. Die Minne war eine Textform, die seinerzeit üblich war in Gesang und Schriften.
Händlerinnen und landwirtschaftlich tätige Beginen
Viele Beginen-Konvente hatten gemein, dass sie sich mit eigenen Händen ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Sie waren seinerzeit sehr kreativ darin und kamen teilweise zu großem Reichtum durch das Weben von Tuch, das Bestellen landwirtschaftlicher Flächen, durch Bestattungen und andere Tätigkeiten. Das ging so weit, dass sie in manchen Konventen sogar Geld verleihen konnten und reicher waren als so manche Bürger der Stadt. Das wiederum rief Neider auf den Plan, wie Zünfte und Händlerfamilien, die die Beginen dann als Konkurrenz bekämpften. Damit begannen unter anderem die Denunziationen, Arbeitsverbote, Enteignungen und Verfolgungen der Beginen. Dies geschah allerdings in Wellen, denn es gab andererseits Befürworter und Beschützer, die Ihnen wiederholt Schutzbriefe ausstellten, ihre Arbeit würdigten und eine Verfolgung damit zeitweise verhinderten.
Karitativ tätige Beginen
Unzählige Beginen (man schätzt sie weltweit auf ca. 1 Million) waren in der Krankenpflege tätig, setzten sich für Aussätzige (in separaten Leprosen für Leprakranke) ein, indem sie diese pflegten oder mit dem Nötigsten versorgten. Sie wuschen die Toten, begleiteten die Trauernden und arrangierten die Bestattungen. Kaum jemand wollte diese Arbeit tun, deshalb waren die Beginen in ihren Städten angesehen und mussten teilweise nicht einmal Steuern zahlen, weil ihre Arbeit sehr wertgeschätzt wurde. Auch das Lehren der wohlhabenderen Söhne und Töchter war eine Arbeit, die viel zur kulturellen Entwicklung beitrug; das waren die Vorläufer der ersten Schulen. In Köln schien eine Hochburg der Beginen zu sein, dort gab es allein ca. 160 Konvente mit über 1000 Beginen. Diese von tätigen Frauen geleiteten Häuser unterhielten zu einer Zeit, in der es nichts Vergleichbares aus staatlichen Quellen gab, gewissermaßen das gesamte soziale Gefüge einer Stadt.
Flagellanten und geißelnde Beginen, Mönche und Nonnen
Psychologie gab es im Mittelalter noch nicht, deshalb verstand man damals nicht den Rückschlag, den eine verdrängte Sexualität mit sich bringen kann. Die Selbstgeißelung ist ein Extrem, welches in Klöstern, bei Beginen, Mönchen und Nonnen gleichermaßen durchgeführt wurde und an dem damals kaum jemand vorbeikam, der als spirituell gelten wollte. Die Menschen damals waren größtenteils sehr rigide im Umgang mit sich selbst und ihren Mitmenschen. Exzessives Fasten bis zur Schädigung der Körperfunktionen gehörte in vielen Klöstern und Beginen-Konventen dazu, um den Körper von seinen Sünden zu reinigen.
Wir neuzeitlichen Nordhastedt-Beginen halten dieses Verhalten für fehlgeleitet und gefährlich. Alles, was zu einer extremen Vorgehensweise gehört und schädigend ist, weil man spirituell (schneller, weil ehrgeizig) vorankommen möchte, kann nicht von einem liebenden Gott gewollt sein, sondern ist menschengemacht. Die Verdrängung der Sexualität zum Beispiel, nur um einem Ideal der Keuschheit zu entsprechen, kann zu einer pervertierten Sexualität führen, die sich in Fantasien (Missbrauch und Flagellantentum) verlieren und zu anderen negativen Reaktionen auswachsen kann. Wer sich absichtsvoll von der Sexualität abwendet, um zölibatär zu leben oder einem Ideal zu entsprechen, muss dies äußerst achtsam vollziehen und keinesfalls mit Brachialgewalt, denn diese Kraft sucht sich sonst Richtungen, die vom Weg abführen. Nicht jeder ist überhaupt in der Lage, sexuell enthaltsam zu sein, denn diese Entwicklung folgt einem Prozess und ist schlichtweg nicht für jeden bestimmt.
Denn nur wenn Sexualität ohnehin für die Betroffenen nicht interessant ist, ist so etwas ohne Gefahr für Körper-Geist-Seele passend. Auch wenn man die Verletzungen durch Geißelung, die man dem Körper seinerzeit zufügte, als zu ertragendes Leid verstand, um einen Läuterungsprozess zu forcieren, so kann dies nach heutigem Verständnis nicht im Sinne Gottes gewesen sein. Das Auslösen von Leid, ob sich selbst oder jemand anderem zugefügt, führt ja gerade immer wieder dazu, dass man gereinigt werden muss. Wer so etwas tut, verursacht schließlich selbst Leid. Da alles miteinander verbunden ist, macht es keinen Unterschied, ob ich mir selbst Leid zufüge oder jemand anderem („Was du nicht willst, was man dir tu, das füg´ auch keinem anderen zu“).
Diese Auswüchse scheinen mir, nach heutigem psychologischem Verständnis, eher eine unerkannte psychische Erkrankung zu sein, die nichts mit einem liebenden Gott zu tun hat. Sie sind menschengemacht, wie so vieles, was wir heute noch immer in Dogmen und Lehrmeinungen wiederfinden.
Schlusswort und Resümee
Wir möchten die Bemühungen dieser mutigen Frauen von damals würdigen und deren motivierendes soziales und wirtschaftliches Engagement, gepaart mit einer spirituellen Lebensweise für und mit Gott, in die moderne Zeit übertragen. Daher bemühen wir uns, für die heutige Zeit nicht mehr nachvollziehbare Vorgehensweisen der historischen Beginen mit dem nötigen Respekt zu hinterfragen.
Doch wir möchten gleichzeitig darauf verweisen, dass die moderne Beginen-Bewegung anders und sehr freiheitlich orientiert ist, was einen fundamentalen Unterschied zur Vergangenheit aufzeigt. Die Zwänge der damaligen Zeit gibt es heute nicht mehr, was nicht nur Chance und Gelegenheit bietet zur freien Gestaltung. Der heutige Zeitgeist erlaubt uns, die spirituellen Werte und eigenen Erfahrungen im Umgang damit und mit Gott, offen mit der Mitwelt zu teilen. Natürlich ist es auch heute noch wichtig, alternative Lebensweisen für Frauen zu entwickeln, die der Gesellschaft als Ganzes dienlich sind. Das wollen wir unterstützen und fördern, auch durch eigenes Beispiel.
Beginen-Galerie:
Geschichte der Beginen - Eine Einleitung zu den schwierigen Hintergründen im Mittelalter.